Dr. Hartmut Beiker, Vorsitzender des Stiftungskuratoriums der Alexianerbrüder, spricht im Interview über das Wachstum der Gruppe, über Integrationsprozesse, Unternehmensstrategie – und das Alexianer-Gen.
Herr Dr. Beiker, vor wenigen Wochen haben die Alexianer Teile der früheren Kplus-Gruppe übernommen. Kurze Zeit später gab es die Bekanntgabe einer Minderheitsbeteiligung bei der St. Mauritius-Therapieklinik. Auch andernorts laufen Gespräche. Ist derzeit besonders viel los in Sachen Wachstum?
Beiker: Ich gebe Ihnen Recht, dass dieser Eindruck entstehen kann. Tatsächlich ist es so, dass sich Wachstumsprojekte über viele Monate entwickeln. Bei Kplus begannen die Gespräche vor über einem Jahr. Tatsächlich bekommen wir derzeit monatlich mehrere Anfragen zu Kooperationen oder Übernahmen von diversen Träger und Einrichtungen. Die meisten Anfragen lehnen wir ab.
# Warum gibt es derzeit so viele Anfragen?
Sie können es ja täglich den Nachrichten entnehmen, wie problematisch die wirtschaftliche und strategische Situation bei vielen Gesundheitseinrichtungen ist. Sie leiden unter den zahleichen hohen Steigerungen für z. B. Energie- und Nahrungsmittelpreise, den Bau-, Instandhaltungs- und Personalkosten, sowie dem immer weiter zunehmenden Fachkräftemangel. Zudem sorgt das Krankenhauszukunftsgesetz für Digitalisierungsdruck und zusätzlich für Kosten, die kleinere Träger oft nicht mehr alleine stemmen können. Die Kostensteigerungen werden trotz gesetzlichen Auftrages des Bundes nicht finanziert. Daher schauen sich gerade diese Träger nach starken Partnern um.
# Und das sind die Alexianer?
Ja. Wir haben im Jahr 2019 in zahlreichen Gremiensitzungen unsere Strategie „Alexianer 2025“ festgelegt und gesagt: Wir möchten und müssen aus unserer Sicht wachsen. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir auf Dauer christliche Träger als Alternative zu öffentlich-rechtlichen und privaten Trägern in der deutschen Krankenhauslandschaft brauchen. Wir waren bereits 2019 einer der großen konfessionellen Träger und möchten das bleiben. Nur als großer, stabil und breit aufgestellter Träger können wir die Zukunft selbst mitgestalten und den zahlreichen gesetzlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen angemessen begegnen.
# Was machen christliche Träger anders als andere?
Ich kann nicht für alle christlichen Träger sprechen. Für uns Alexianer kann ich sagen: Wir pflegen und betreuen nicht Menschen um immer mehr Geld zu verdienen, sondern wir verdienen Geld um möglichst viele Menschen gut zu pflegen und zu betreuen. Dadurch erfüllen wir unsere Mission, für die Menschen in Not und diejenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen, da zu sein. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Trägern, die ihren Kapitalgebern über Ausschüttungen verpflichtet sind. Bei uns bleibt jeder erwirtschaftete Euro im Unternehmen und wird wieder für unsere Mission und die uns anvertrauten Menschen eingesetzt.
# Es gibt Mitarbeiter, die sagen: In meiner Abteilung gibt es kein Geld für einen neuen Drucker, aber die Hauptgeschäftsführung kauft insolvente Kliniken auf. Wie passt das zusammen?
Zunächst einmal möchte ich sagen: Es gibt in keiner unserer Regionen einen Investitions- oder Instandhaltungsstopp oder ähnliches. Aber: Natürlich müssen auch wir Kosten sparen und uns die Ausgabenwünsche genau ansehen, da diese in jüngster Zeit an zahlreichen Stellen gestiegen sind. Aber eine effiziente Arbeitsausstattung soll und müsste auch überall gegeben sein. Und da hat das eine sehr viel mit dem anderen zu tun. Derzeit gehen zahlreiche Krankenhäuser in die Insolvenz. Bei der Bewertung, ob einige wenige dieser Häuser für uns interessant sind achten wir besonders darauf, ob sie unsere bestehenden Einrichtungen zukünftig stärken und mittelfristig betriebswirtschaftlich angemessen zu führen sind. Dafür gilt es Kooperationen auszubauen, Synergien zwischen den Einrichtungen zu nutzen und strategische Perspektiven gemeinsam für neue und bestehende Einrichtungen zu entwickeln. Wir investieren dadurch in die langfristig Stabilität unseres gesamten Alexianer-Verbundes. Das wird sich später auszahlen.
# Wie geht die Unternehmensleitung strategisch bei Wachstumsprojekten vor?
Zunächst schauen wir, ob das Unternehmen kulturell zu uns passt. Das ist bei christlichen Unternehmen meist eher gegeben als bei anderen. Die Leitbilder mögen verschieden sein, aber die grundsätzliche empathische Zugewandtheit zu den Menschen, ihre Identifikation mit ihrer Arbeit und ihre spirituelle Grundeinstellung, das ist bei den christlichen Häusern sehr ähnlich.
Dann ist die Regionalität wichtig: Wir möchten durch Wachstum die bestehenden Einrichtungen stärken, daher engagieren wir uns bei Unternehmen, die unsere regionalen Strukturen ergänzen oder ausbauen. Zudem möchten wir unsere vier Geschäftsfeder gleichermaßen stärken: Somatik Psychiatrie, Außerklinische Pflege und Eingliederungshilfe.
Und ergänzend: Wir streben eine weitere vertikale Stärkung an, indem wir z. B. die Versorgung im Krankenhaus, die Kurzzeitpflege, Reha und den Pflegedienst mehr aus einer Hand anbieten und um damit eine umfassende Versorgung der Patienten gewährleisten zu können. Auch das geht in die Gesamtentscheidung mit ein.
# Dann wird der Daumen gehoben oder gesenkt?
Konkret werden zu Beginn sogenannte „Deal Breaker“ bestimmt, die die Gewähr bieten, dass wir nicht unnötig Zeit und Kapazitäten für Unternehmensanalysen verwenden, die sich hinterher als nicht umsetzbar zeigen. Dazu gehören vornehmlich bestimmte Finanzkennzahlen und politisch, strategische Faktoren. Die Gesamtkoordination liegt bei der Hauptgeschäftsführung. Anhand einer Punkteliste, die vom Referat Consulting unter Einbindung verschiedener Holdingreferate betreut und gefüllt wird, die konkrete Bewertungsvorlage für die Gremienentscheidung. Auf Basis dieser Ergebnisse können wir dann erkennen, ob eine Investition betriebswirtschaftlich sinnvoll ist im Sinne der Gesamtstrategie des Unternehmens oder nicht. Aufgabe der Gremien ist es dann, die Gesamtaspekte zu würdigen und auf dieser Basis eine Entscheidung zu treffen.
# Was wäre die Alternative zum Wachstum?
Unser Ziel ist es, die zukünftige Entwicklung der Alexianer weiterhin selbst zu bestimmen und nicht eines Tages übernommen und „gestaltet“ zu werden. Nochmal: Wir lehnen die meisten Kooperations- und Übernahmeangebote ab. Wenn wir doch Interesse haben und eine Verbindung eingehen, dann nicht, weil wir Größe als Selbstzweck betrachten, sondern weil wir nach eingehender Analyse und Diskussion zu dem Schluss gekommen sind, dass es für das Gesamtunternehmen eine größere langfristige Stabilität gibt.
# Thema Integration: Gehen die Alexianer hier anders vor als andere große Träger?
Wir unterscheiden uns in Vorgehen und Ziel sicher von zahlreichen anderen Trägern. In unserem Leitbild steht der Satz „Im Notwendigen die Einheit, im Zweifel die Freiheit“ – und daran halten wir uns. Wir möchten, dass Leitbilder, Kulturen und einige typisch individuelle Dinge, die typisch sind in einer Einrichtung, erhalten bleiben. Wir akzeptieren die individuelle Kultur und Spiritualität. Auf der anderen Seite muss es aber auch einheitliche Standards geben, die dafür sorgen, dass die neuen Einrichtungen zu allen Alexianer-Häusern passen. Auf diese Weise bleibt das bekannte Gute erhalten und wird verbunden mit dem sicher auch guten „Großen Ganzen“.
# Welche Rollen spielt der Orden der Alexianerbrüder heute noch im Unternehmen?
Das materielle und immaterielle Erbe der Alexianerbrüder ist vor elf Jahren in die Stiftung eingebracht worden. Der Auftrag der Stiftung lautet, die Werke der Alexianerbrüder zu sichern und den christlichen Geist und das besondere Charisma der Alexianerbrüder in der Sorge um kranke und hilfsbedürftige Menschen im Unternehmen zu fördern. Das stellen wir wesentlich über den Rat für christliche Werteorientierung in Verbindung mit dem Referat CELS (Christliche Ethik/Leitbild/Spiritualität) der Holding sicher. Die Verwirklichung des Stiftungszwecks erfolgt überwiegend über den Betrieb, die Führung und die Leitung von gemeinnützigen Gesundheits-, Pflege- und Betreuungseinrichtungen und damit über die Alexianer GmbH.
Ferner werden die Kuratoriumsmitglieder vom Provinzial der Alexianerbrüder mit Zustimmung seines Rates und mit Zustimmung des Generals der Alexianerbrüder und seines Rates berufen. Bruder Nikolaus und Bruder Bernhard-Maria sind zudem Mitglieder im Kuratorium der Stiftung und bringen sich hier als Ordensbrüder ein.
# Was heißt das konkret für die Arbeit des Kuratoriumsvorsitzenden der Stiftung der Alexianerbrüder?
Dass es viel zu tun gibt (lacht)! Wir sind verantwortlich für die Gesamtstrategie des Unternehmens, die Besetzung des Aufsichtsrats und der Haupt- und Verbundgeschäftsführung. Die Stiftung trifft wesentliche Investitionsentscheidungen ab einer bestimmten Größenordnung und entscheidet bei Wachstumsprojekten mit. Das macht die Stiftung aber nicht alleine, sondern trifft die Entscheidungen je nach Thema in enger Zusammenarbeit und auf Empfehlung von Aufsichtsrat und Hauptgeschäftsführung. Wir gehen dabei sehr sorgfältig im Einklang mit unserer Unternehmensstrategie vor.
# Sie sind in den vergangenen Jahren im Rahmen des Leadership-Programms viel herumgekommen, haben an den Kaminabenden mit hunderten Führungskräften gesprochen. Auch sonst haben Sie ihr Ohr immer nah an der Basis. Was ist ihr Eindruck: Gibt es ein typisches Alexianer-Gen?
Als typisch empfinde ich eine sehr hohe Empathie und Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrer Arbeit. Viele zeigen mehr als 100-prozentiges Engagement, es gibt wenig Frustration. Ich erlebe immer wieder Mitarbeitende, die richtig für die Alexianer brennen und sich mit den Werten unseres christlichen Unternehmens sehr stark identifizieren. Das macht mich stolz. Sie haben alle ihre ganz eigene Spiritualität, die Sie leben und antreibt. Das bedeutet „Alexianer sein“ und Sie sind damit typisch für die Alexianer-Familie und die damit verbundene besondere Atmosphäre“.
Und ich möchte heute an dieser Stelle ein Stück der Offenheit und Vertrautheit, die mir in den persönlichen Gesprächen entgegengebracht wird, zurückgeben.
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